Die Klavierlehrerin
Die Klavierlehrerin Erika Kohut stürzt wie ein Wirbelsturm in die Wohnung, die sie mit ihrer Mutter teilt. Die Mutter nennt Erika gern ihren kleinen Wirbelwind, denn das Kind bewegt sich manchmal extrem geschwind. Es trachtet danach, der Mutter zu entkommen. Erika geht auf das Ende der Dreißig zu. Die Mutter könnte, was ihr Alter betrifft, leicht Erikas Großmutter sein. Nach vielen harten Ehejahren erst kam Erika damals auf die Welt. Sofort gab der Vater den Stab an seine Tochter weiter und trat ab. Erika trat auf, der Vater ab. Heute ist Erika flink durch Not geworden. Einem Schwarm herbstlicher Blätter gleich, schießt sie durch die Wohnungstür und bemüht sich, in ihr Zimmer zu gelangen, ohne gesehen zu werden.

(aus: Elfriede Jelinek, Die Klavierspielerin, 1983)
  • schwaches Verb
  • starkes Verb
  • starkes Verb mit Präfix
  • vstarkes Verb mit trennbarem Verbzusatz
  • unregelmäßiges Verb
  • Auxiliarverb
  • Modalverb
Il quadro ad olio di Lovis Corinth rappresenta una giovane donna sorridente.
Lovis Corinth, Wilhelmine mit gelbem Hut (1924)

Anders als die traditionelle Grammatik hat die Dependenzgrammatik auf die Unterscheidung zwischen transitiven und intransitiven Verben verzichtet. Es wird vom Begriff „Modus“ abgesehen, die Konjunktive und der Imperativ werden als Verbtempora aufgefasst. Es gibt kein Tempus „Futur“, da die Notion „Futur“ lexikalisch mit Zeitangaben oder durch ein Verbalkomplex Modalverb + Hauptverb ausgedrückt wird, was durch die Eigenschaft der Modalverben, Möglichkeiten – also Zukünftiges – auszudrücken, ermöglicht wird.

Die Konjugation

Person und Numerus

Person und Numerus

  • 1. Person: der / die Sprechende
    – Singular ich
    – Plural wir
  • Person: der / die Angesprochene
    – Singular du
    – Plural ihr
    – Distanzform Sie (Singular und Plural). Diese Form ist mit der dritten Person Plural identisch, wird allerdings immer groß geschrieben.
  • Person: die Person oder das, worüber man spricht
    – Singular er, es, sie
    – Plural sie
  • Person und Numerus sind in der konjugierten Form des Verbs enthalten.

Die Kongruenz mit der Person

Die Kongruenz mit der Person wird mit Endungen angegeben. Das sind:

  • für die 1. Person Singular (ich)
    e in allen Tempora der schwachen und unregelmäßigen Verben
    e im Präsens, Konjunktiv I und II der starken Verben
    e im Präteritum, Konjunktiv I und II der Modalverben
    – Ø im Präsens der Modalverben und im Präteritum der starken Verben
  • für die 2. Person Singular (du)
    (e)st in allen Tempora von allen Verben
    (e) für den Imperativ
  • für die 3. Person Singular (er, es, sie)
    (e)t im Präsens der schwachen, starken und unregelmäßigen Verben
    e im Präteritum, Konjunktiv I und II der Modalverben
    – Ø im Präsens der Modalverben und im Präteritum der starken Verben
  • für die 1. Person Plural (wir)
    (e)n in allen Tempora von allen Verben
  • für die 2. Person Plural (ihr)
    (e)t in allen Tempora von allen Verben
  • für die 3. Person Plural (sie) und für die Distanzform (Sie)
    (e)n in allen Tempora von allen Verben

Die Tempora

  • Man unterscheidet
    – infinite Verbformen, die weder Person noch Numerus angeben.
    – finite Verbformen, die Person und Numerus angeben.

Die infiniten Verbformen

Der Infinitiv

  • stellt die Grundform dar, die im Wörterbuch eingetragen ist.
  • hat bei den meisten Verben die Endung en.
    fragen – arbeiten – gehen – lesen – rennen – wissen
  • endet bei einigen Verben in eln o ern.
    handeln – ändern
  • gibt weder Person noch Numerus an.
  • kann in Verbindung mit Modalverben auftreten.
    Wir möchten am Sonntag ins Konzert gehen.
  • kann als Nomen gebraucht werden. In diesem Fall ist es Neutrum und wird dekliniert.
    Du hast aber ein schönes Leben!

Achtung: tun!

Das Partizip I (Partizip Präsens)

  • drückt einen Vorgang aus.
  • wird vom Infinitiv abgeleitet, indem man d anhängt.
    fragend – arbeitend – handelnd – versichernd – gehend – lesend – rennend – wissend
  • gibt weder Person noch Numerus an.
  • hat nur die aktive Form.
  • kann auch als attributives Adjektiv verwendet werden, wobei es dekliniert wird.
    Fragen eines lesenden Arbeiters ist ein berühmtes Gedicht von Brecht.

Das Partizip II (Partizip Perfekt)

  • drückt das Ergebnis eines Vorgangs aus.
  • wird vom Infinitiv abgeleitet, und zwar mit Hilfe von
    – Affixen – ge und (e)t – bei den schwachen Verben
    – Affixen – ge und (e)n – und Stammänderungen bei den starken Verben.
    – Affixen – ge und t – und Stammänderungen bei den unregelmäßigen Verben.
    gefragtgearbeitet gehandelt geändert gegangen gelesen – gerannt – gewusst
  • gibt weder Person noch Numerus an.
    bildet mit den Auxiliarverben die zusammengesetzten Tempora und das Passiv.
    Hast du die Zeitung gelesen?
    Die Bibel wurde von Luther übersetzt.
  • kann als attributives Adjektiv verwendet werden, wobei es dekliniert wird.
    Der geplante Ausflug in die Alpen fiel aus.

Die finiten Verbformen

Das Präsens

  • bezeichnet
    – Gegenwärtiges
    – Zukünftiges
    – Vergangenes, das für die Sprechenden von Belang ist.
  • wird mit dem Infinitiv-Stamm gebildet, indem man die Personen-Numerus-Endungen anhängt. Bei einer Gruppe von starken und unregelmäßigen Verben wird auch der Stamm geändert.
    Warum antwortest du nicht?
    Auf eine solche Frage antworte ich nicht.
    Am Wochenende fahren wir ans Meer.
    Fährst du mit?

Das Präteritum

  • bezeichnet eine abgeschlossene Vergangenheit
  • wird mit dem Infinitiv-Stamm gebildet, indem man die Personen-Numerus-Endungen anhängt.
  • Kennzeichen sind
    – der Affix (e)t für die Tempora der Vergangenheit bei den schwachen Verben.
    In meinen jungen Jahren arbeitete ich hart?
    arbeiten
    – Stammwechsel für die Tempora der Vergangenheit bei den starken Verben.
    Ich las jeden Tag die Zeitung.
    lesen
    – sowohl Stammwechsel als auch Affix (e)t bei den unregelmäßigen Verben.
    Kanntest du Herrn Weber?
    kennen

Der Konjunktiv I

  • kennzeichnet ein Zitat, für dessen Inhalt der Sprecher keine Verantwortung übernimmt.
  • wird vom Infinitiv-Stamm gebildet, indem man e und die Personen-Numerus-Endungen anhängt
    Udo sagt, er verstehe nichts von Computern.

Der Konjunktiv II

  • bezeichnet Nicht-Wirkliches, das unter einer hypothetischen Bedingung zu realisieren ist oder erwünscht wird.
  • tritt in Wunschsätzen auf.
  • wird häufig zum Ausdruck höflicher Rücksichtnahme benutzt.
  • wird vom Präteritum abgeleitet: Präteritum-Stamm (+ Umlaut) + e + Personen-Numerus-Endungen.
    Wenn Hans sich besser benähme, hätten wir bestimmt mehr Geduld mit ihm,
  • wird bei den schwachen Verben meist durch die Umschreibung mit dem Konjunktiv II von werden (sog. würde-Formen) ersetzt, da der Konjunktiv II mit dem Präteritum formgleich ist.
    (Wenn du von diesen Zuständen profitiertest, verdientest du viel.)
    Wenn du von diesen Zuständen profitieren würdest, würdest du viel verdienen.
  • wird auch bei den starken Verben immer mehr durch die Umschreibung mit dem Konjunktiv II von werden ersetzt.
    In diesem Zustand ließe ich Gisela nicht allein.
    In diesem Zustand würde ich Gisela nicht allein lassen.

Der Imperativ

  • gibt an, dass etwas realisiert werden soll.
  • stimmt – abgesehen von der 2. Person Singular – mit den Formen des Präsens überein.
  • kommt nicht in allen Personen vor, sondern nur in der 2. Person Singular und Plural, in der Distanzform und in der 1. Person Plural.
  • hat nur die aktive Form.
  • gibt an, dass etwas realisiert werden soll.
  • In der 2. Person Singular und Plural tritt das Subjekt nicht auf.
    Bring mir bitte ein Glas Wasser.
  • In der Distanzform und in der 1. Person Plural steht das Subjekt (Pronomen!) hinter dem Verb.
    Bringen Sie mir bitte ein Glas Wasser.
    Warten wir mal, bis Hans fertig ist.

Das Perfekt

  • bezeichnet Vergangenes, das für die Sprechenden von Belang ist.
  • besteht aus dem Partizip II des Hauptverbs und einem Auxiliarverb im Präsens (haben bei den meisten Verben, sein bei den anderen) im Präsens.
    Hast du Die Leiden des jungen Werthers gelesen?
    Bist du auch ins Konzert gegangen?

Das Plusquamperfekt

  • bezeichnet Abgeschlossenes, das vor zeitlich Vergangenem liegt.
  • besteht aus dem Partizip II des Hauptverbs und einem Auxiliarverb im Präteritum (haben bei den meisten Verben, sein bei den anderen).
    Ich hatte nicht verstanden, dass Anna so große Schwierigkeiten hatte.
    Gleich nachdem Annas Bruder angekommen war, fingen sie an zu streiten.

Der Konjunktiv Perfekt

  • bezeichnet Vergangenes in einem Zitat.
  • ist die Vergangenheitsform des Konjunktivs I.
  • besteht aus dem Partizip II des Hauptverbs und einem Auxiliarverb im Konjunktiv I (haben bei den meisten Verben, sein bei den anderen) im Präsens.
    Udo sagt, er habe alles verstanden.
    Brigitte meint, sie seien zu spät abgefahren.

Der Konjunktiv Plusquamperfekt

  • bezeichnet eine nicht realisierte Hypothese.
  • ist die Vergangenheitsform des Konjunktivs II.
  • besteht aus dem Partizip II des Hauptverbs und einem Auxiliarverb im Konjunktiv II (haben bei den meisten Verben sein bei den anderen).
    In diesem Zustand hätte ich Gisela nicht allein gelassen.
    Mit einem so alten Auto wäre ich nicht in die Berge gefahren.

Aktiv / Passiv

  • Die Verben können in zwei verschiedenen Formen konjugiert werden, im Aktiv und im Passiv.
  • Das Aktiv gilt als Grundform.
  • Nur Verben, die einen Vorgang beschreiben oder eine Entscheidung voraussetzen, können im Passiv stehen.
  • Im passiven Satz steht das Geschehen im Vordergrund. Die handelnde Person rückt in den Hintergrund oder tritt überhaupt nicht auf.
  • Man bildet das Passiv (Vorgangspassiv!) mit dem Auxiliarverb werden und dem Partizip II des Hauptverbs.
    Der Autofahrer wird bestraft.
    Die Bibliothek wurde vor einem Monat geöffnet.
  • Mit dem Auxiliarverb sein kann man das sogenannte Zustandspassiv bilden, das nur die einfachen Tempora hat.
  • Die Bibliothek ist seit gestern geöffnet.

Komparationstafel Aktiv / Passiv

Aktiv (3.Person Singular)Passiv (3.Person Singular)
Präsenser bezahlter wird bezahlt
Präteritumer bezahlteer wurde bezahlt
Konjunktiv I er bezahle er werde bezahlt
Konjunktiv II er bezahlte er würde bezahlt
Perfekt er hat bezahlter ist bezahlt worden
Plusquamperfekt er hatte bezahlter war bezahlt worden
Konjunktiv Perfekt er habe bezahlter sei bezahlt worden
Konjunktiv
Plusquamperfekt
er hätte bezahlter wäre bezahlt worden

Achtung!
Das Partizip II von werden ist im Passiv worden.

  • In Verbindung mit Modalverben wird das Passiv mit dem konjugierten Modalverb und dem Infinitiv Passiv des Hauptverbs gebildet.
  • In den zusammengesetzten Tempora hat das Partizip II des Modalverbs die Form des Infinitivs.
    Der Autofahrer muss unbedingt bestraft werden.
    Dem alten Mann konnte nicht geholfen werden.
    Der Autofahrer hat unbedingt bestraft werden müssen.
    Dem alten Mann hatte nicht geholfen werden können.

Subjekt im Aktiv ?? im Passiv

  • Die Akkusativergänzung des aktiven Verbs wird im passiven Satz zum Subjekt.
    Der Polizist bestraft den Autofahrer. Aktiv: Akkusativergänzung
    Passiv Subjekt Der Autofahrer wird bestraft.
    Der Lehrer hat den Schüler gelobt.
    Aktiv: Akkusativergänzung
    Passiv Subjekt Der Schüler ist gelobt worden.
  • Die passiven Sätze mit Verben, die keine Akkusativergänzung verlangen, haben kein Subjekt.
    Passanten haben dem alten Mann gleich nach dem Unfall geholfen. Aktiv
    Passiv Dem alten Mann ist gleich nach dem Unfall geholfen worden.
  • Das Subjekt des aktiven Satzes kann als Präpositivergänzung in den passiven Satz aufgenommen werden.
    Der Autofahrer wird vom Polizisten bestraft
    Dem alten Mann ist von den Passaten geholfen werden.